Leseprobe
Aus dem Kapitel über Willy Cohn
"Liebend gern sind wir zu Willy Cohn gegangen". "Als Kind ging ich mit großen Augen zu Willy Cohn zur Weihnachtsausstellung. Großartig! Ganz pompös!" "Bei Willy Cohn war es immer herrlich. Da sind wir jeden Abend hingegangen und haben uns alles angesehen. Stundenlang in der Spielwarenabteilung". Und so weiter, und so weiter, wenn man Umfrage hält bei den heute über Achtzigjährigen.
Willy Cohn war nicht nur angesehen. Er war auch ungeheuer beliebt.
Habe ich sein Warenhaus in der Schmiedestraße nicht auch noch erlebt? Den langen Innenhof mit dem gewölbten Glasdach, wie ich es später in den Großstädten und noch später wieder in Leipzig gesehen habe? Die bis zum vierten Stock hinaufführende doppelläufige Treppe - zum Staunen! Die Christfeste mit dem riesengroßen Weihnachtsbaum und die Spielwarenausstellung im Advent: Pfeifende Eisenbahnen, Looping drehende Flugzeuge, sprechende Puppen, tanzende Bären, erleuchtete Zwergenhäuser, bunt sortierte Spielkaufläden, leuchtend blaue und rote Brummkreisel und über allem ein funkelnder Sternenhimmel. "Alles regt sich, alles bewegt sich", hieß es in jedem Dezember wieder.
Nein, eigentlich kann ich keine Erinnerung haben. Am 9. November 1938, als das Warenhaus geplündert und sein Zauber ein für allemal zerstört wurde, war ich fünf Jahre alt. Wahrscheinlich kann ich nicht zwischen den nostalgischen Erzählungen, einigen wenigen Fotografien und eigenem Erleben unterscheiden.
Die Cohns sollen aus Ostpreußen gekommen sein. Ob das wohl noch an seiner Sprache zu hören gewesen ist? Wenig weiß ich über ihn, der sich für mich hinter der Vielfalt seines Sortiments verbirgt. Ob schon seine Vorfahren unter den vielen Cohns in den alten Halberstädter Einwohnerbüchern verzeichnet sind? ich bin auf Vermutungen angewiesen. Jedenfalls ließ er 1901 sein legendäres Warenhaus bauen, da war er 36 Jahre alt.............. |