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Victoriana

Leseprobe

Aus dem Kapitel über den Heiligen Schabbat

.......Wenn die Dämmerung sich senkte wichen Eile und Anspannung. Während das Leben in der "christlichen" Welt seinen unverminderten Lauf nahm, die Elektrische geschäftig durch die Straaßen klingelte, Autos hupten, Händler letzte Waren ausriefen, wurde es in den jüdischen Häusern still. Die Hausfrau zündete die Kerzen an, das Essen stand dampfend in der Grude, und die Männer waren in der Synagoge, um die Prinzessin Sabbat bei ihrem Einzug zu begrüßen. Frauen und Kinder blieben meist in der Wohnung, beteten und sangen und warteten auf die Männer. Das muß ähnlich gewesen sein, wie wenn wir am Heiligen Abend dem Moment entgegenfieberten, an dem der Vater die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet hatte, und das Glöckchen verheißungsvoll durch die Wohnung bimmelte. Nur: Das war einmal im Jahr!
Der kleine Platz zwischen dem großen Tempel und der Klaus sowie das Domplatzstück am Eingang zum "Polnischen Minjan" waren am Freitagabend die einzigen öffentlichen Orte, die mit jüdischem Leben erfüllt waren. Die alte Litfaßsäule vor dem Hause Baer, die Angriff und Zerstörung wie durch ein Wunder überstanden hat, ragte wie ein Fels in der Brandung inmitten den feierlich gekleideten Männern empor, die sie umgaben. Sie schüttelten einander die Hand und riefen "gut Schabbes," "gut Schabbes" und kleine Jungen schlängelten sich durch das Gewirr und zupften an den Röcken ihrer Väter und Verwandten. Wahrscheinlich bildeten die Rabbiner noch eine Weile den Mittelpunkt hochgestimmter Menschen. Dr. Isaak Auerbach von der Gemeinde, Dr. Philipp Frankl und Dr. Moses Schlesinger aus der Klaus. Langsam wurde es still. Nur der nichtjüdische Synagogendiener Hoffmann - später war es Herr Wiedenbein - nahm seinen Dienst auf, um das Haus für den nächsten Tag wieder herzurichten.