Leseprobe
Aus dem Kapitel "Die Bukostraße"
"Kinder! Ins Bett! Der Mond steht schon am Himmel!"
"Ach, bitte noch nicht! Er ist doch erst bei Seckbachs!"
Die kleine Debatte fand an so manchem Abend zwischen der vierjährigen Ruth Bach und ihrer Mutter statt. Denn sie und ihr jüngerer Bruder Gabriel bewohnten mit ihren Eltern Jahre, ehe ich geboren wurde, die rechte Hälfte des Zweifamilienhauses in der Bukostraße. Während der kurzen Kindheit, welche die Sprößlinge Bach in Halberstadt erlebten, nutzte das temperamentvolle Kind die noch niedrige Position des silbernen Erdgefährten über dem Nachbarhaus als Argument, um den Augenblick möglichst hinauszuschieben, an dem es unwiderruflich den rotblonden Wuschelkopf aufs Kissen zu betten hatte.
Zwei Einfamilienhäuser und ein Doppelhaus, alle einstöckig mit Giebelzimmern unterm Dach standen und stehen noch in der stillen Bukostraße, die am südlichen Gartenzaun meines Großvaters entlang verlief und die Bismarckstraße mit der Roonstraße verband. Die kleineren Villen an jedem Straßenende nahmen das langgezogene Doppelhaus in die Mitte, und alle drei Gebäude waren und sind nach hinten durch Gärten verbunden. Zur Straße hin gab es kein Gegenüber, nur Großvaters großer Garten hinter den weißen Zaunlatten.
Nathan Halberstadt und Viktor Bach, die dynamischen Hirsch-Prokuristen wohnten mit ihren Familien im Doppelhaus. Beide waren sie prädestiniert auf glänzende Karrieren in dem internationalem Metallunternehmen am Abtshof.
Rudolf Mayer - "Ma-yer mit a bitte"- hat Glück gehabt, denn er war keiner von der großen Unternehmens"familie". Er konnte in das Haus Nr. 4 an der Ecke der damaligen Roonstraße mit dem herabgezogenen Schleppdach einziehen, obwohl er sich als selbständiger Kaufmann in einer ganz anderen Branche bewegte. Er betrieb mit seinem Bruder Emil die Häute-Darm-und Gewürzhandlung Julius Joseph im Weingarten, die zu den eingesessenen Betrieben der Stadt gehörte.
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Drei junge und ehrgeizige Unternehmer nebeneinander in der Bukostraße,aber man denke nicht, daß etwa im Hause Nr. 1 ein phlegmatischer Charakter mit Frau und Kindern sein Leben verbracht hätte.. Nur war Lassar Seckbach der älteste in der Straße und streng orthodox noch dazu. Noch heute wird von der Kraft und Eindringlichkeit seiner Stimme erzählt.................... |