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Victoriana

Leseprobe

Aus dem Kapitel über die Leder-Meyers

Die vielversprechende Leder-Karriere eines wichtigen Zweiges der großen Familie Meyer begann in Halberstadt und beruhte auf dem Irrtum eines hoffnungsvollen Halbwüchsigen....
1811 nämlich wurde in dem schmucken Fachwerkhaus in der Bakenstraße 10 als zweites von vier Kindern des Sanuel Meyer-Sust und seiner Frau Bina, geb. Krämer aus Gröbzig Emanuel geboren, den sie schon, als er noch ein Kind war, wegen seiner außergewöhnlichen Körperkraft "Mendel ha Gibbor" (Mendel der Held) nannten. Mendel war offenbar der erste in der wohl eher wissenschaftlich und spirituell orientierten Familie, der ein Handwerk erlernte. Er wurde Handschuhmacher, weil er sich für Taubenzucht interessierte. Das gurrende Gehüpfe, das frühmorgens und nach Sonnenuntergang auf dem Dachfirst des Meisters Rost in der Dominikanerstraße stattfand, hatte den Knaben zu der Annahme verführt, gerade hier gehe man dieser Liebhaberei nach.............
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.....Abends, wenn die Giebel der Häuser begannen, Schatten zu werfen, zeigte es sich: Mendel ha Gibbor war der König der Straße. Wenn sich genügend kindliche Bewunderer um den halbwüchsigen Herkules versammelt hatten, begann dieser lauthals zu prahlen und nach Mutigen Ausschau zu halten, die es wagten, sich ihm im Ringkampf zu stellen. Da stand er, sah sich herausfordernd um, und als niemand sich meldete, bot er sogar an, es mit mehreren gleichzeitig aufzunehmen.....
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..........Mendels Wanderung ging über das vor Geschäftigkeit summende Leipzig durch das göttliche Dresden, mit Pausen in mancher kleinen Stadt in den Tälern des Erzgebirges, nach der alten Heimat seiner Vorfahren: nach Prag.
.........................Broterwerb bot ihm ein Prager Ledermacher. Der angesehene Mittvierziger arbeitete mit mehreren Gesellen in einem soliden Haus auf der Kleinseite, dem Viertel jenseits der Moldau.......Hier erwarb der Geselle aus dem Harzvorland neue Kenntnisse im Chromgerben und Lederfärben........